Unser Nachbarschaftsraum

Nachbarschaftraum, Gebäudebedarfs und -entwicklungsplan, Pfarrbemessung oder Verkündigungsteam sind einige Schlagworte die den Prozess ekhn2023 beinhalten. Auch die Kirchengemeinden Unnau, Kirburg und Bad Marienberg sind aufgefordert, sich damit zu beschäftigen (hierüber wurde schon in „Einblicke“ berichtet). Aus allen drei Kirchengemeinden haben sich inzwischen mehrere Vertreter aus den Kirchenvorständen bereit erklärt, in einer Steuerungsgruppe die Möglichkeiten der Zusammenarbeit über die Inhalte bis hin zur Klärung der Rechtsform, der Gebäudenutzung u. v. m. zu besprechen. Die Steuerungsgruppe hat dabei nur vorbereitende Aufgaben und Ziele, die Entscheidungen müssen dann die einzelnen Kirchenvorstände treffen.

Viele schauen auf ekhn2023 wie die Maus auf die Schlange und verfallen in eine Schockstarre. Alles muss so bleiben wie es ist – auf keinen Fall die noch vorhandenen Gottesdienstbesucher vergraulen. Alles, was die Kirchengemeinde bislang hat, gilt es festzuhalten. Ich persönlich sehe es als eine Möglichkeit, innezuhalten und zu überlegen, was wir im Nachbarschaftsraum, warum und für wen anbieten? Die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) zeigt uns auf, was die Menschen in Deutschland über Kirche denken, sie hält uns einen Spiegel vor. 5.282 Menschen aus der katholischen und evangelischen Landeskirche sowie Konfessionslose wurden mit 592 Fragen interviewt und gaben einen Einblick in ihre persönliche Bindung zu Glauben, Kirche u. v. m. Diese Einblicke gilt es ernst zu nehmen und wertzuschätzen.

Einige Schlagwörter: 56 % der Befragten bezeichneten sich selbst als uneingeschränkt nicht religiös. 1/3 der Kirchmitglieder dachte zum Zeitpunkt der Befragung nicht über einen Kirchenaustritt nach. 2/3 schon. 25 % der Mitglieder bezeichnen sich selbst nicht als Christin/Christ. 13 % der bundesdeutschen Bevölkerung bezeichnen sich noch als kirchlich-religiös 84 % aller Befragten sind der Meinung, dass zur Kirche gehen und das Bibellesen nicht unbedingt zum Christsein dazugehört.

Nun habe ich keine theologische Ausbildung, bin kein Pfarrer oder übe keinen anderen ähnlichen Beruf aus, auch kann ich nicht mit theologischen Fachbegriffen hantieren, und doch habe ich meine persönliche Sicht auf die Dinge und eine persönliche Meinung.

Die Gemeinde (Ekklesia) wird durch Gott einberufen! Und Gott ruft wann, wo und wie er will und nicht, wie wir denken wie er will. Die Gemeinde entsteht also aus der Berufung des Herrn, unseres Gottes! Gemeinde ist herausgerufene Versammlung Gottes, die allein durch Gottes Wirken und Handeln zustande kommt. Gemeinde ist also kein „Cliquen-Treffen“ der Frommen (oder der, die sich dafürhalten). Wenn wir dies also als von Gott gewirkt betrachten, dann stellt sich mir die Frage, was alles noch Gemeinde sein kann und gehe damit über das klassische Bild einer Kirchengemeinde hinaus. Gott beruft eben wann, wo, wie und wen er will, oder er beruft eben nicht! Wird deutlich, dass Gott „die EKHN“ vielleicht gar nicht braucht? Können wir uns vorstellen, dass Gott seine Gemeinde auch ohne die EKHN beruft? Vielleicht möchte Gott einen anderen, neuen Weg mit seiner „Gemeinschaft der Heiligen“ gehen. Wenn wir als EKHN dies erkannt hätten, dann müssten wir in aller Demut „kleine Brötchen backen“ und hoffen, dass Gott mit uns noch etwas vorhat und nicht versuchen, das Bestehende über die Köpfe der Menschen hinweg zu erhalten.

Die EKHN versteht sich als Teil der Kirche Jesu Christi, „die überall dort ist, wo das Wort Gottes lauter verkündigt wird und die Sakramente recht verwaltet werden“ (Grundartikel). Sie folgt damit der reformatorischen Einsicht, dass Kirche aus dem Evangelium heraus lebt. Das bedeutet: Kirche ist in ihrem Wesen nicht durch selbst gesetzte Interessen und Ziele begründet und auch nicht in einer bestimmten Ordnung. Sie lebt aus dem Wort Gottes, das Kirche schafft. Sie ist „Geschöpf des Wortes“ (creatura verbi). Es kann also gesagt werden, dass Kirche nicht durch eine Mitgliedschaft, ein Amt oder eine Stellung innerhalb der Kirche(ngemeinden), ein ehrenamtliches Engagement gebildet wird. Für mich bedeutet „Geschöpf des Wortes“ gerade nicht Einheitlichkeit, Gleichmacherei, Uniformität und „alles über einen Kamm scheren“. Für mich ist hier ist die Frage, was alles „Geschöpf des Wortes“ sein kann, viel wichtiger und sprengt hoffentlich meinen jetzigen Horizont. Doch welche „Kernaufgaben“ hat eine Kirchengemeinde im Sinne der berufenen „Gemeinschaft der Heiligen“? Ich sehe drei wichtige Merkmale: Martyria, Liturgia und Diakonia.

Martyria – das ist das Zeugnis, die Verkündigung des Evangeliums, die Ausbreitung der Frohen Botschaft, Martyria, das ist der bezeugte Glaube.

Liturgia – das ist bislang der Gottesdienst, das gemeinsame Singen und Beten in Dank und Fürbitte, die Feier des Abendmahls, die Begegnung mit Christus in Brot und Wein. Denkt man den Begriff weiter, dann ist in die Versammlung der Gläubigen der Alltag in der Welt mit einbezogen (Römer 12,1). Gottesdienst ist also viel mehr als nur die liturgische Feier, die wir am Sonntag kennen. Für mich geht es dabei nicht nur darum, die Gottesdienste zu modernisieren oder aufzupeppen, etwa durch eine Band, andere Lieder, mehrere Liturgen usw. Ich denke darüber nach, was Versammlung, Gemeinschaft der Gläubigen alles sein kann. Liturgia, das ist der gefeierte Glaube.

Diakonia – das ist der Dienst am Menschen, die Unterstützung der Bedürftigen im eigenen Land, aber auch die tätige Nächstenliebe unter den Armen der ganzen Welt. Diakonia, das ist der angewandte Glaube.

Lasst bei unseren Überlegungen (egal, ob Altbewährtes oder Neues) immer die Frage im Mittelpunkt stehen: Hilft uns die Idee, diese drei Hauptaufgaben zu erfüllen? Ist es das, was Gemeinde ausmacht, oder lenkt es von der zentralen Aufgabenstellung Gottes an uns ab. Und noch eines ist mir wichtig: Ich will das Bewährte nicht streichen und durch Neues ersetzen. Ich will aber altes auch nicht um jeden Preis erhalten.

Es gilt, das Feuer des Glaubens in die nächsten Generationen weiterzugeben. Wenn ich die Reaktion der Menschen (und Mitglieder) in der 6. KMU jedoch wahrnehme, kann man den Eindruck gewinnen, wir geben Asche weiter. Ist dies so?

Dies alles vorausgeschickt, wünsche ich mir einen Nachbarschaftraum (der Menschen), der

  • ... (die Rangfolge ist keine Gewichtung!)
  • ... örtliche Schwerpunkte bildet, die sich gegenseitig ergänzen anstatt, dass alle das Gleiche anbieten.
  • ... an traditionell, bewährten Formen und Zeiten von Gottesdiensten, Gruppen und Kreisen festhält, weil sie von (zahlenmäßig allerdings weniger werdenden) Menschen genauso gewollt und gebraucht werden.
  • ... seinen Mitgliedern Flexibilität zumutet.
  • ... Menschen mit Distanz zur Gemeinde die Möglichkeit zum Abstand genauso ermöglicht wie die punktuelle Nähe. So, wie es diejenige/ derjenige eben gerade braucht.
  • ... den Menschen (nicht den Mitgliedern!) im Raum eine Möglichkeit bietet, um Neues auszuprobieren („Inbesitznahme“, z. B. von Kirche und Gemeindehaus durch Menschen im Gemeinwesen zum Besten vom Nachbarschaftraum).
  • ... seine haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden gabenorientiert als Persönlichkeiten akzeptiert und Raum und Zeit für Entfaltung gibt.
  • ... die Arbeit der CVJM’s in Hof und Bad Marienberg zu schätzen und zu würdigen weiß, ohne diese zu vereinnahmen oder in Konkurrenz zu treten.
  • ... den Haupt- und Ehrenamtlichen Mut macht, an neue Orte zu gehen, um Glauben zu feiern.
  • ... bereit ist, die traditionell äußeren Merkmale von Kirchen, Kirchengebäuden und Gemeindehäusern, völlig umzubauen, umzunutzen oder gar ganz auf diese Gebäude zu verzichten, sie also aufzugeben.
  • ... die Menschen (nicht Mitglieder!) vor Ort viel stärker danach fragt, was unmittelbar lebensdienlich gebraucht wird und eben genau das dann aufbaut.
  • ... Menschen beinhaltet, die im Sinne des allgemeinen Priestertums in den sozialen Medien unterwegs und dabei bereit sind, auch dort ihren Glauben zu leben, ihn auszudrücken und sich mitzuteilen.
  • ... den Kleiderladen und die Tafel unterstützt und in die Gemeindearbeit integriert, ohne zu vereinnahmen.
  • ... die vielfältigen Möglichkeiten, den persönlichen Glauben und die Religiosität (was je nach Lebensphase variieren kann) zu leben, zulässt und nicht normiert. Das persönliche Bild von Gemeinde ist nur ein Teil des Ganzen, es ist nur eine Möglichkeit und jede individuelle Entscheidung eines Menschen wird akzeptiert!
  • ... geprägt ist vom Hören und Fragen. Gefragt werden andere Menschen nach ihren Lebens-, Glaubens- und Gotteserfahrungen. Wir kommen ins Erzählen und miteinander Feiern dieser so vielfältigen Erfahrungen. So kann sich vielfältige Gemeinschaft bilden.
  • ... von Zusammenarbeit geprägt ist. Das betrifft zunächst die Zusammenarbeit im Inneren, im Team der Steuerungsgruppe und zwar sowohl über die Grenzen des eigenen Berufsstandes (haupt- und ehrenamtlich) wie auch über die Grenzen der eigenen Parochie und des eigenen Nachbarschaftsraumes hinaus.
  • ... erkannt hat, wie wichtig es ist, andere zusammen machen zu lassen, Selbstwirksamkeit zu ermöglichen, Raum zu geben, Menschen eben einfach machen zu lassen.
  • ... mobil ist und zu den Menschen kommt.
  • ... erkannt hat: „Digital ist normal“. Social-Media-Kanäle nehmen an Bedeutung weiter zu und es ist auch normal, sich dort über letzte Fragen des Lebens auszutauschen. Zuerst ist es vielleicht nur ein Hineinhören in das „Rauschen“, das dort herrscht. Schön wäre es, wenn der Nachbarschaftraum dann selbst zum Erzählenden, Mitredenden, Fragenden werden würde, um dann selber das spüren zu können: Digital ist normal.
  • ... eine Kultur des Scheiterns lebt. Versuch und Irrtum ist gewollt und möglich. Scheitern als reale Möglichkeit akzeptieren; aus den Fehlern anderer lernen; die eigenen Fehler nicht zu ernst nehmen; verinnerlichen, dass Scheitern zum Erfolg gehört; gestärkt aus Rückschlägen hervorgehen; aufzeigen, dass Scheitern auch eine Chance und einen Neuanfang bedeuten kann.
  • ... die Verantwortlichen (haupt- und ehrenamtlich) von Verantwortung entlastet und eine Kultur des „einfach Zuschauens“ und „eben Zulassens“ in dem Wissen, das Gott beruft, ermöglicht.
  • ... den Menschen die Möglichkeit der Beteiligung, der Mitverantwortung und der Mitentscheidung gibt. Ein Beispiel: Warum wird an den Gottesdiensten am Sonntag mit Ort und Zeit festgehalten, wenn dort immer weniger Menschen teilnehmen? Wer entscheidet über Gottesdienstkonzepte? Und jetzt bitte nicht die kirchenrechtliche Antwort: Der Kirchenvorstand und/oder die Pfarrpersonen!
  • ... der den Menschen seine Gedanken, Fragen, Unsicherheiten u. v. m. öffentlich und transparent macht und mit den Menschen in einen Dialog tritt.

Die Aufzählung ist unvollständig und erhebt auch nicht den Anspruch, alle wichtigen Themengebiete berücksichtigt zu haben. Gleichwohl bin ich der Auffassung, dass bei den weiteren Gesprächen die Punkte eine Würdigung erfahren sollten.

Ich wünsche mir einen Dialog der Verantwortlichen innerhalb des Nachbarschaftsraumes, aber eben auch mit den Menschen, die in ihm leben, denn sie sind es wert!

Matthias Schütz