Über Jesu anspruchsvolles Erbe

In der biblischen Jesustradition stolpern wir mitunter über schwer verdauliche Brocken – zum Beispiel über die bekannte Wendung »Kinder, wie schwer ist es, in die Königsherrschaft Gottes hineinzugehen; leichter ist es, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgeht, als dass ein Reicher in die Königsherrschaft Gottes hineingeht.« (Mk 10,24f.)
Der Leser Herbert Weynand fragt, was dieses Wort bedeuten kann, speziell mit Blick auf eine reiche Kirche.
Gerade für Bibellesende im wohlhabenden Westen ist dieses krasse Bildwort eine irritierende Zumutung, die im Neuen Testament nicht allein dasteht: Jesus brandmarkt Reichtum immer wieder ausdrücklich, fordert radikal zum Besitzverzicht auf. Was tun? Schnell könnte man ins Relativieren kommen: »So reich bin ich ja gar nicht …«, »Mein Nachbar ist viel wohlhabender …«, »Angesichts der Superreichen weltweit …« Doch diese Ausflüchte greifen zu kurz.

Wenn Sie nun selbst ins Grübeln geraten und sich angefragt fühlen – mir persönlich geht es bei diesen Stellen immer wieder so –, dann kann ein Blick auf die urchristlichen Anfänge hilfreich sein. In den Traditionen scheint nämlich auf, dass »Nachfolge« durchaus Unterschiedliches bedeutet haben kann: Da gibt es diejenigen, die radikal alles aufgeben und verlassen und im Gefolge Jesu die anbrechende Königsherrschaft Gottes verkünden.
Es finden sich aber auch andere, die als Jesus-Schüler:innen in ihren alltäglichen Bezügen bleiben – inklusive Haus, Familie, Beruf und Besitz. Erstere hätten es ohne Letztere tatsächlich ziemlich schwer gehabt: Immer wieder kehrt Jesus selbst mit seinen Begleiterinnen und Begleitern vor Ort ein und wird mit dem Lebensnotwendigen versorgt.

Das könnte ein friedlich-fruchtbares Miteinander in idealer Ergänzung ergeben haben – doch kam es wohl auch zu Streit. Die frühen Jesus-Nachfolgenden ringen um den »richtigen« Weg der Nachfolge: Wie sieht die »wahre« Nachfolge aus? Gibt es hier ein »Besser«? In so eine Auseinandersetzung passt Markus 10,24f. – und votiert für die radikale Variante.
Zugleich – und das finde ich das Überraschende, vielleicht auch Tröstliche – geht es fast versöhnlich und ausgleichend weiter, wenn die Schüler Jesu selbst erschrocken fragen, wer dann überhaupt gerettet werden könne (Mk 10,26). Sie hätten doch schon alles verlassen, betont Petrus (in Mk 10,28) ausdrücklich. Trotzdem erschrecken sie angesichts der Ansage Jesu. Und dessen abschließende Antwort hält gewissermaßen eine (Hinter-)Tür offen: »Alles nämlich ist möglich bei Gott« (Mk 10,27).

Das kann all jene aufatmen lassen, die sich nicht für radikalen Besitzverzicht als Lebensoption entscheiden können oder wollen – und für die damit eine bestimmte Form der Nachfolge entfällt: Es gibt andere Optionen. Entscheidend: Der Gedanke an das »Kamel«, das verzweifelt vor dem Nadelöhr steht, bleibt ein Stachel im Fleisch und fordert jede und jeden Tag für Tag heraus, die eigene Haltung zu Besitz, Vermögen, Reichtum kritisch zu überdenken – den Umgang damit eingeschlossen. Das »Kamel« mahnt uns alle, unser Herz nicht an Reichtum zu verlieren, die Prioritäten richtig zu setzen, denn schnell kann Reichtum zum widergöttlichen Götzen werden. Dass Reichtum eine »Bürde«, ja ein Nachfolge-Hemmnis sein kann –, davor warnt das jesuanische Wort deutlich.
Vergleichbares gilt für Kirche als Institution (auch wenn das Jesus-Wort an sich nur den Einzelnen im Blick hat und keine kollektiven Körperschaften). Auch hier haben sich in Gestalt der Bettelorden immer wieder Menschen für den radikalen Weg der Jesus-Nachfolge in Armut entschieden – die Kirche als Gesamt jedoch nie. Und bei einer reichen Kirche stellen sich dann vergleichbare Fragen: Welchen Stellenwert hat der Reichtum? Wozu wird das Vermögen eingesetzt? Wie wird damit umgegangen? Vor diesem Hintergrund sollte dieses Bibelwort rund um den Petersdom mindestens ebenso prominent vor Augen stehen wie die Stelle von Petrus als dem Felsen (Mt 16,18). Das wäre ein großartiges, ja prophetisches Zeichen. Da kann sich die Kirche von Jesus mahnen lassen.


Datum der Erstveröffentlichung: 16.06.2025
Autor Christian Schramm,geboren 1977, ist Privatdozent am Neutestamentlichen Seminar der katholischen Fakultät an der Universität Bonn. Wenn Sie eine Bibelstelle ausgelegt haben wollen, schreiben Sie an: redaktion@publik-forum.de, Stichwort Bibelstelle
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