„Ich kann im Moment mit Gott nichts anfangen“, sagte eine junge Frau mit einem sanften Lächeln. Ich lächele zurück und nicke freundlich. Später kam mir dieses Nicken falsch vor. Ich hatte mir eingeredet, sie würde Gott vielleicht irgendwann wiederfinden. Doch das war eine schwache Ausrede. Denn inzwischen ist klar: Viele Menschen können mit Gott nichts mehr anfangen – und das ist ein ernstes Problem.
Wenn jemand sagt: „Ich kann seit einger Zeit mit Essen nichts anfangen“, schrillen bei Eltern und Freunden die Alarmglocken. Essstörungen sind eine ernste Krankheit. Zuerst versuchen Eltern zu helfen, reden gut zu, doch irgendwann braucht es professionelle Unterstützung. Wer die Warnzeichen ignoriert, riskiert, dass sich die Krankheit verfestigt. Viele Betroffene sagen später: „Hätte ich es nur früher ernst genommen.“
Ähnlich verhält es sich mit der „Gottesstörung“. Auch hier haben wir frühe Heilungschancen verpasst. Seit Jahrzehnten verlieren Menschen den Kontakt zu Gott – still, schleichend, oft unbemerkt. Doch Gott ist nicht bloß ein überflüssiges Relikt, sondern das Leben selbst. Wer ihn verliert, verliert den tiefsten Sinn. Leben ohne Gott ist möglich, weil der Barmherzige seine Schöpfung erhält, aber es ist kein erfülltes Leben. Gut lebt, wer sich als Ebenbild Gottes erfährt, seine Gnade in sich aufnimmt und nach seinen Geboten handelt.
„Mir fehlt ja nichts“, sagen viele, die ohne Gott leben. Doch dieses Herunterspielen ernster Mängel ist typisch für unsere Zeit. Auch Kranke mit Diabetes, Atemnot oder Herzproblemen sagen oft: „Mir fehlt ja nichts“ – bis der Schmerz sie zur Vernunft bringt. Vielleicht gilt Ähnliches für die Gottesbeziehung: Erst wenn der innere Hunger zu groß wird, spüren Menschen, was ihnen fehlt.
Sollte Gott uns also mit Schmerzen zur Liebe zwingen? Nein – das wäre ein Widerspruch. Denn die Beziehung zu Gott ist eine Liebesbeziehung, und Liebe lässt sich nicht erzwingen. Gott wirbt um uns, aber er drängt sich nicht auf.
Manche sagen: „Ob ich an Gott glaube oder nicht, ist doch egal.“ Doch das stimmt nicht. Wenn der Mensch sich von Gott entfernt, verkümmert etwas in ihm. Seine Liebesfähigkeit nimmt ab, sein Horizont verengt sich. Viele beklagen, unsere Gesellschaft werde immer egoistischer. Liegt das vielleicht daran, dass die Beziehung zu Gott dahinsiecht – und mit ihr das Bewusstsein, Teil von etwas Größerem zu sein.
Darum ist der Satz „Ich kann mit Gott nichts anfangen“ mehr als eine beiläufige Bemerkung. Er ist ein Warnsignal – ein Zeichen geistlicher Unterernährung. Wir sollten ihn ernst nehmen. Ich habe mir vorgenommen, nicht mehr nur milde zu nicken, wenn jemand so spricht. Vielleicht genügt ein Satz, um ein Gespräch zu beginnen. Vielleicht öffnet sich eine Tür. Aber schweigen – das soll mir nicht mehr passieren.
Karl Jacobi




